Die Frankfurter Innenstadt dürfte in den nächsten Tagen zu einem heißen
Pflaster werden. Kapitalismuskritiker aus ganz Europa wollen im Rahmen
von Blockupy-Tage ab nächsten Donnerstag gegen die Politik von Banken,
Konzernen und Regierungen protestierten. Seit Monaten hat ein Bündnis,
das von Attac über Linkspartei bis zur Interventionistischen Linken
reicht, ein umfangreiches Protestprogramm vorbereitet. Doch in den
letzten Tagen sind die Aktivisten vor allem mit der Repression
beschäftigt, mit der die Behörden auf die Proteste reagieren. Schon in
der letzten Woche wurden sämtliche Anlauf- und Kundgebungspunkte
verboten. Selbst eine Kundgebung kapitalismuskritischer Ordensleute und
ein Ravekonzert fallen das Verdikt. Zudem soll das Occupy-Camp in
unmittelbarer Nähe der Europäischen Zentralbank (EZB) während der
Aktionstage geräumt sein.
Altes Instrumentarium aus der Schublade gezogen
Vor einigen Tagen wurden zudem mehrere Hundert Menschen aus ganz
Deutschland in einem Schreiben, ihr Aufenthalt in der Frankfurter
Innenstadt während der Protesttage verboten. Sollten sie dagegen
verstoßen und etwa auf die Idee kommen, in der Frankfurter Innenstadt
auch nur einzukaufen, wird ihnen die „Anwendung unmittelbaren Zwanges”
durch die Polizei und ein Zwangsgeld von 2.000 Euro oder eine
entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe angedroht. Viele der von dem
temporären Frankfurt-Verbot Betroffenen sind nie wegen einer Straftat
verurteilt worden. Es reichte offenbar schon, wenn jemand auf dem Weg zu
einer Demonstration von der Polizei kontrolliert wurde, um auf die Liste
der gebannten Personen zu geraten. Mit dieser Maßnahme haben die
Ordnungsbehörden wieder ein Instrumentarium aus der Schublade gezogen,
das vor einem Jahrzehnt auf dem Höhepunkt der globalisierungskritischen
Proteste nach extensiver Anwendung europaweit in die Kritik geraten.
Schon damals monierten Menschenrechtler und Juristen, dass die
Unschuldsvermutung aufgehoben würde, wenn schon eine Polizeikontrolle
für ein Demonstrationsverbot ausreichen soll. Zahlreiche Betroffene
haben oft nachträglich vor den Gerichten mit ihren Klagen gegen die
Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit recht bekommen. In den letzten
Jahren haben die Behörden nur noch selten von den Einschränkungen der
Bewegungsfreiheit Gebrauch gemacht. Dass nun im Vorfeld der
Krisenproteste in Frankfurt wieder die Repressionskeule geschwungen
wird, hat nicht nur lokale Gründe. Daher greift es auch zu kurz, wenn
Frankfurter Rechtshilfegruppen vor allem dem Frankfurter
Ordnungsdezernten Markus Frank (CDU) vorwerfen, eine neue
Eskalationsstufe beschritten zu haben.
Europaweit Repression gegen Krisenproteste
Die Maßnahmen gegen die Proteste in Frankfurt liegen im europäischen
Trend. So wurden kürzlich in Spanien neue Gesetze erlassen, die das
Zelten auf öffentlichen Plätzen mit hohen Strafen belegt. Prompt wurden
alle Versuche am 12. Mai einen Neustart der Bewegung der Empörten auf
öffentlichen Plätzen zu versuchen, von der Polizei verhindert.
Mag den Empörten und der Occupy-Bewegung in den Feuilletons bescheinigt
werden, sie hätten doch sehr vernünftige Forderungen und man sollte doch
mit ihnen in den Dialog treten, so regieren in der realen Politik
europaweit Verbote, Polizeiknüppel und sogar Untersuchungshaft. So wurde
in Spanien die CGT-Gewerkschafterin Laura Gomez am 29. März verhaftet,
nachdem sie maßgeblich an der Organisation eines landesweiten
Generalstreiks beteiligt war. In den großen Medien Deutschlands war die
Haft einer aktive Gewerkschafterin in einem EU-Land kein großes Thema.
Die FAZ lieferte Drehbuch für Demoverbot
Wenn jetzt auch in manchen Medien verhaltene Kritik laut wird, ob die
Ordnungsbehörden nicht Frankfurt mit ihrer harten Linie über das Ziel
hinausschießen, so darf nicht vergessen werde, dass ende konservative
Medien schon vor Wochen genau eine solche harte Haltung gegen
Krisenprotestler forderten. Unter der Überschrift „Stadt muss Flagge
zeigen“ lieferte die konservative FAZ am 11. April praktisch das
Drehbuch für den Umgang der Behörden mit Blockkupy. „Warum suchen
linksextreme Demonstranten immer wieder ausgerechnet diese Großstadt
heim? Die Antwort dürfte einfach sein: Weil Frankfurt wie keine andere
deutsche Stadt für die Finanzwelt steht und sich deshalb besonders
eignet, um den Protest gegen Kapitalismus und die europäische und listet
konkrete Gegenmaßnahmen auf. „Dass es als liberale Großstadt aber auch
darum geht, im Sinne der Bürger zu entscheiden und, wenn auch nur
symbolisch, ein Verbot auszusprechen, hat die Politik lange Jahre
versäumt“.
Nicht nur für konservative Journalistin scheinen Demonstrationen und
Protesten kein Bürgerrecht, sondern in erster Linie eine Bedrohung vor
allem für die Interessen der Geschäftswelt. Darauf stützen sich auch die
Verbote der Ordnungsbehörden. Ob sie symbolisch bleiben, wird sich in
den nächsten Tagen zeigen, wenn Gerichte darüber entscheiden müssen.
Doch schon jetzt hat die harte Haltung nicht nur in Frankfurt denjenigen
Recht gegeben, die davor warnen, dass eine Wirtschaftspolitik, die immer
mehr Opfer für die große Teile der Bevölkerung bedeutet und eine
autoritäre Innen- und Rechtspolitik einander bedingen. Da wird schon mal
gegen einen Kapitalismuskritiker wie Waldo Bello ein Einreiseverbot in
den EU-Raum ausgesprochen, weil er auf einer globalisierungskritischen
Konferenz in Brüssel eine Rede halten sollte. Globalisierungskritiker
werden sich noch erinnern, dass Bello fälschlicherweise von den Medien
beschuldigt wurde, 2007 auf seiner Rede gegen den G8-Gipfel in Rostock
zur Gewalt aufgerufen zu haben. Bald stellte sich heraus, dass seine
Rede bewußt verfälscht und in einen falschen Kontext gestellt wurde. Da
wird ganz offen von den Politikern diskutiert, die Schengen-Verträge
aufzuheben, wenn sie es für opportun halten. Dass ist allerdings schon
immer gängige Praxis, ohne dass darüber viel geredet wird. Gleichzeitig
werden die Grenzen um die Festung Europa immer mehr militarisiert. Dass
bedeutet, dass immer mehr Flüchtinge bei dem Versuch, in ein
europäisches Land einzureisen, sterben werden.
Gegen die kommenden Aufständen der gefährlichen Klassen
Es sind wie schon vor mehr hundert Jahren die gefährlichen Klassen,
gegen die sich das Bürgertum und ihr Staat mit Gesetzen sowie mit
Polizeimaßnahmen außerhalb des Gesetzes wappnen wollen. Es ist
bemerkenswert, dass im Internetzeitalter, wo doch angeblich alle
Informationen in Sekunden um die Welt gehen, selbst auf europäischer
Ebene keine Plattform gegen die staatliche Repression existiert. Als
nach den Studierendenprotesten in Großbritannien zahlreiche junge Leute
mit drakonischen Strafen abgeschreckt wurden, gab es europaweit kaum
Solidaritätsaktionen. Als wenige Monate später in den Vorort englischer
Städte Unruhen ausbrachen, wurden Menschen zu hohen Haftstrafen
verurteilt, weil sie ein Paar Schuhe, die in entglasten Schaufenstern
gelegen haben, mitgenommen haben. Eltern sollten ihre Wohnungen
verlieren, weil ihre Kinder sich an den Unruhen beteiligten. Blogger,
die im Internet dazu aufrufen, sich an den Protesten zu beteiligen
wurden ebenfalls zu Haft verurteilt. Bis auf einige kritische
Zeitungsartikel gab es keine Reaktionen. Gleichzeitig versuchen in
Italien Politik und Wirtschaft die kämpferische Gewerkschaft FIOM ihrer
Rechte zu berauben, weil sie sich dem vom FIAT-Konzern aufdiktierten
Spardiktat nicht beugen will. Von einer gewerkschaftlichen Solidarität
in anderen Ländern hat man nichts gehört. Noch erscheinen sowohl die
unterschiedlichen Kämpfe als auch die Repression unverbunden. Es wird
die Aufgabe einer sozialen Bewegung sein, nicht nur die
nationalstaatlichen Grenzen, sondern auch die Trennungen der
unterschiedlichen Kämpfe aufzuheben. Das wäre auch die wirkungsvollste
Antwort auf die europaweite Repression, die vor allem präventiv gegen
die kommenden Aufstände der gefährlichen Klassen in allen Ländern
gerichtet ist.
http://www.krisenblog.org/archives/70-Grundrechte-im-Zeitalter-der-Krise.html
Wir trauern um Gustav Störzer
vor 7 Stunden
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