Samstag, 25. Februar 2012

Münchhausen - Die Wette mit dem Sultan

Ein altes Märchen, dessen Geschichte hier und anderenorts so ähnlich immer wieder erzählt wird. Ähnlichkeiten mit heutigen Geschichten sind rein zufällig ...

Nach Jahren kam ich wieder in die Türkei. Diesmal aber nicht als Kriegsgefangener, sondern als Mann von Rang und Namen. Einige Botschafter stellten mich dem Sultan vor, der mich beiseite nahm und bat, einen ebenso wichtigen wie geheimen Auftrag für ihn in Kairo zu erledigen. Ich sagte zu und reiste kurz danach mit Pomp und Gefolge ab.

Kaum hatten wir Konstantinopel verlassen, sah ich einen kleinen, dünnen Mann rasch wie ein Wiesel querfeldein rennen, und als er näher kam, entdeckte ich zu meinem Befremden, dass er an jedem Bein ein Bleigewicht von gut fünfzig Pfund trug. »Wohin so schnell?« rief ich. »Und was sollen die Gewichte?« - »Ach«, meinte er, »ich bin vor einer halben Stunde in Wien weggelaufen und will mir in Konstantinopel eine neue Stellung suchen. Die Bleigewichte trag' ich nur, damit ich nicht zu schnell renne. Ich hab' ja heute keine Eile.« Der Mann gefiel mir. Ich fragte, ob er mit mir reisen wolle. Und da wir rasch handelseinig wurden, zog er mit uns weiter. Durch manche Stadt und durch manches Land.

Eines Tages sah ich, nicht weit vom Weg, einen Mann in einer Wiese liegen. Er presste sein Ohr auf den Boden, als wolle er die Maulwürfe bei ihrer Unterhaltung belauschen. Als ich ihn fragte, was er da treibe, gab er zur Antwort: »Ich höre das Gras wachsen.« -»Das kannst du?« fragte ich. - »Eine Kleinigkeit für mich«, meinte er. Ich engagierte ihn auf der Stelle. Leute, die das Gras wachsen hören, kann man immer einmal brauchen.

An diesem Tage hatte ich überhaupt Glück. Auf einem Hügel gewahrte ich einen Jäger, der das Gewehr angelegt hatte und damit Löcher in die Luft schoss. »Was soll das?« fragte ich. »Wonach zielst und schießt du?« - »Ach«, sagte er, »ich probiere nur das neue Kuchenreutersche Gewehrmodell aus. Auf der Turmspitze des Straßburger Münsters saß eben noch ein kleiner Sperling. Den hab' ich heruntergeschossen.« Dass ich den Jäger mitnahm, versteht sich von selbst.

Wir zogen weiter und weiter, und eines Tages kamen wir am Libanongebirge vorüber. Dort stand, vor einem Zedernwald, ein untersetzter, kräftiger Bursche und zerrte an einem Strick, den er um den ganzen Wald geschlungen hatte. »Was soll das ?« fragte ich erstaunt. - »Ach«, sagte er, »ich soll Holz holen und habe die Axt zu Hause liegenlassen!« Mit diesen Worten riss er auch schon den Wald, mindestens einen Hektar im Umfang, nieder. Was tat ich? Natürlich nahm ich ihn mit. Er verlangte eine ziemlich hohe Schwerarbeiterzulage, aber ich hätte ihn nicht auf dem Libanon gelassen, auch wenn es mich mein ganzes Botschaftergehalt gekostet hätte.

Als ich endlich in Ägypten eintraf, erhob sich mit einem Male ein solcher Sturm, dass wir samt den Pferden und Wagen umgeworfen und fast in die Luft gehoben wurden! In der Nähe standen sieben Windmühlen, deren Flügel sich wie verrückt um ihre Achsen drehten. Nicht weit davon lehnte ein dicker Kerl, der sich mit dem Zeigefinger das rechte Nasenloch zuhielt. Als er uns in dem Sturm zappeln und krabbeln sah, nahm er den Finger von der Nase und zog höflich den Hut. Mit einem Schlag regte sich kein Lüftchen mehr, und alle sieben Windmühlen standen still. »Bist du des Teufels?« rief ich ärgerlich. -»Entschuldigen Sie vielmals, Exzellenz«, sagte er, »ich mach' nur für den Windmüller ein bisschen Wind. Wenn ich mir nicht das rechte Nasenloch zugehalten hätte, stünden die Windmühlen gar nicht mehr auf ihrem alten Platz.« Ich engagierte ihn auf der Stelle.

Wir zogen weiter nach Kairo. Als ich mich dort meines geheimen Auftrags entledigt hatte, entließ ich das gesamte Gefolge und behielt nur den Schnellläufer, den Horcher, den Jäger, den starken Burschen vom Libanon und den Windmacher in meinen Diensten.

Beim Sultan stand ich nach der ägyptischen Reise in noch viel höherer Gunst als vorher. jeden Mittag und Abend aßen wir zusammen, und ich muss sagen, dass seine Küche besser war als die aller übrigen Herrscher, mit denen ich gespeist habe. Aber mit den Getränken sah es bitter aus, o j eh! Denn die Mohammedaner dürfen bekanntlich keinen Wein trinken. Das bereitete mir keinen geringen Kummer. Und, wie mir schien, dem Sultan selber auch.

Eines Tages gab er mir nach dem Essen einen verstohlenen Wink, ihm in ein kleines Kabinett zu folgen. Nachdem er die Tür abgeriegelt hatte, holte er aus einem Schränkchen eine Flasche hervor und sagte: »Das ist meine letzte Flasche ungarischen Tokayers. Die Christen verstehen etwas vom Trinken, und Sie, Münchhausen, erst recht. Nun, so etwas Delikates haben Sie in Ihrem ganzen Leben noch nicht getrunken!«

Er schenkte uns beiden ein, wir tranken, und er meinte: »Was halten Sie davon?« - »Ein gutes Weinchen«, antwortete ich, »trotzdem steht fest, dass ich in Wien, bei Kaiser Karl dem Sechsten, ein noch viel besseres getrunken habe. Das sollten Majestät einmal versuchen! « - »Ihr Wort in Ehren, Baron. Aber einen besseren Tokayer gibt es nicht! Ich bekam ihn seinerzeit von einem ungarischen Grafen geschenkt, und er schwor mir, es sei der beste weit und breit! «

»Was gilt die Wette?« rief ich. »Ich schaffe in einer Stunde eine Flasche aus den kaiserlichen Kellereien in Wien herbei, und dann sollen Sie Augen machen!« »Münchhausen, Sie faseln!« »Ich fasse nicht, Majestät! In sechzig Minuten wird eine Flasche aus dem kaiserlichen Keller in Wien hier vor uns auf dem Tisch stehen, und gegen diesen Wein ist der Ihre der reinste Kratzer! «

Der Sultan drohte mir mit dem Finger. »Sie wollen mich zum besten haben, Münchhausen! Das verbitte ich mir! Ich weiß, dass Sie es mit der Wahrheit sehr genau zu nehmen pflegen. Doch jetzt schwindeln Sie, Baron! « - »Machen wir die Probe!« sagte ich. »Wenn ich mein Wort nicht halte, dürfen mir Kaiserliche Hoheit den Kopf abschlagen lassen! Und mein Kopf ist ja schließlich kein Pappenstiel! Was setzen Sie dagegen?«

»Ich nehme Sie beim Wort«, erwiderte der Sultan. »Foppen lasse ich mich auch von meinen Freunden nicht gern. Steht die Flasche Schlag vier nicht auf diesem Tisch, kostet es Sie den Kopf. Wenn aber Sie die Wette gewinnen, dürfen Sie aus meiner Schatzkammer so viel Gold, Silber, Perlen und Edelsteine nehmen, wie der stärkste Mann nur zu schleppen vermag!« - »Topp! « rief ich. »Das lässt sich hören! « Dann bat ich um Tinte und Feder und schrieb an die Kaiserin Maria Theresia folgenden Brief: »Ihre Majestät haben als Universalerbin Ihres höchstseligen Herrn Vaters gewiss auch dessen Weinkeller geerbt. Dürfte ich darum bitten, meinem Boten eine Flasche Tokayer mitzugeben? Doch, bitte, nur von dem allerbesten! Denn es handelt sich um eine Wette, bei der ich nicht den Kopf verlieren möchte. Im voraus herzlichen Dank! Ihr sehr ergebener Münchhausen.«

Das Briefchen gab ich meinem Schnellläufer. Er schnallte seine Bleigewichte ab und machte sich augenblicklich auf die Beine. Es war fünf Minuten nach drei. Der Sultan und ich tranken dann den Rest seiner Flasche aus und schauten gelegentlich nach der Wanduhr hinüber. Es wurde Viertel vier. Es wurde halb vier. Als es drei Viertel vier schlug, ohne dass sich mein Läufer blicken ließ, wurde mir allmählich schwül zumute. Der Sultan blickte bereits verstohlen auf die Glockenschnur. In kurzer Zeit würde er nach dem Henker läuten.

Ich bat um die Erlaubnis, in den Garten gehen zu dürfen. Der Sultan nickte, gab aber ein paar Hofbeamten den Auftrag, mir auf den Fersen zu bleiben. Drei Uhr und fünfundfünfzig Minuten wurde ich so nervös, dass ich nach meinem Horcher und dem Jäger schickte. Der Horcher warf sich platt auf die Erde und erklärte kurz darauf, dass der Läufer, weit weg von hier, im tiefsten Schlaf läge und aus Leibeskräften schnarche! Der Schütze rannte auf eine hochgelegene Terrasse, sah durchs Gewehrvisier und rief außer sich: »Wahrhaftig, da liegt er! Unter einer Eiche bei Belgrad! Und die Flasche mit Tokayer liegt neben ihm! Warte, mein Lieber!« Dann zielte er und schoss in die Luft. Was geschah? Die Kugel traf die Eiche, unter welcher der Bursche schnarchte. Blätter, Zweige und Eicheln prasselten ihm aufs Gesicht. Er sprang auf, nahm die Flasche, raste los und langte fünf Minuten vor vier vor des Sultans Kabinett an! Mir fiel ein Stein vom Herzen.

Der Sultan probierte sofort den Tokayer. Dann meinte er: »Ich hab' die Wette verloren, Münchhausen.« Nachdem er die Flasche in seinem Schränkchen fest verschlossen hatte, klingelte er dem Schatzmeister und sagte: »Mein Freund Münchhausen darf so viel aus der Schatzkammer mitnehmen, wie der stärkste Mann forttragen kann!« Der Schatzmeister verneigte sich mit der Nase bis zur Erde. Mit aber schüttelte der Sultan die Hand. Dann entließ er uns beide.

Jetzt galt es, keine Zeit zu verlieren. Ich rief meinen starken Mann und eilte mit ihm in die Schatzkammer. Er schnürte mit langen Stricken ein riesiges Bündel zusammen. Was er nicht unterbrachte, war kaum der Rede wert. Daraufhin rannten wir zum Hafen, mieteten das größte Segelschiff, das zu haben war, wanden den Anker hoch und suchten das Weite. Das war dringend nötig. Denn als der Sultan hörte, was für einen Streich ich ihm gespielt hatte, befahl er dem Groß-Admiral, mit der ganzen Flotte auszulaufen und mich und das Schiff einzufangen!

Wir waren kaum zwei Meilen von der Küste entfernt, als ich die türkische Kriegsflotte mit vollen Segeln näher kommen sah. Und ich muss gestehen, dass mein Kopf von neuem zu wackeln anfing. Da sagte mein Windmacher: »Keine Bange, Exzellenz! « Er trat auf das Hinterdeck und hielt den Kopf so, dass das rechte Nasenloch auf die türkische Flotte und das linke auf unsere Segel gerichtet war. Und dann blies er so viel Wind und Sturm durch die Nase, dass die Flotte, mit zerbrochenen Masten und zerfetzten Segeln, in den Hafen zurückgejagt wurde und dass unser Schiff wie auf Flügeln dahinschoss und bereits drei Stunden später in Italien eintraf.

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