Die Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam leben – gemeinsam lernen (als Dachverband für die Elternvereine zur Integration behinderter Kinder) schreibt anlässlich des Bildungsgipfels am 22. Oktober 2008 an Bundeskanzlerin Merkel und die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, die Bildungsministerin des Saarlandes, Frau Kramp-Karrenbauer Frankfurt, 17.10.2008
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel, sehr geehrte Frau Ministerin Kramp-Karrenbauer,
aus Anlass des Bildungsgipfels am 22. Oktober wenden wir uns an Sie, um das Recht von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen auf inklusive Bildung in Ihr Blickfeld und das der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gipfels zu rücken. Schon die UN-Kinderrechtskonvention, zu der sich die Kultusministerkonferenz mit Beschluss vom 3. 3. 2006 ausdrücklich bekannt hat, verlangt in Art. 23, dass Bildung für Kinder mit Behinderungen „tatsächlich in einer Weise zugänglich“ sein muss, „die der möglichst vollständigen sozialen Integration und individuellen Entfaltung des Kindes einschließlich seiner kulturellen und geistigen Entwicklung förderlich ist.“ Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dies ohne Diskriminierung (Art. 2), unter vorrangiger Berücksichtigung des Kindeswohls (Art. 3) und unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel (Art. 4) zu gewährleisten. Die Konvention über die Rechte behinderter Menschen, die die Bundesrepublik demnächst ratifizieren wird, wird noch deutlicher. Sie postuliert „inclusive education“, was, wie Sie wissen, in der deutschen Übersetzung unzutreffend mit „integratives Bildungssystem“ wiedergegeben wurde. Davon sind wir in der Bundesrepublik weit entfernt. Fast einer halben Million Kinder und Jugendlicher wird sonderpädagogischer Förderbedarf bescheinigt und 85 % davon werden in d er Folge in Sonderschulen eingewiesen, viele gegen den Willen ihrer Eltern. Nur 15% der Kinder mit Förderbedarf werden an allgemeinen Schulen unterrichtet. Zum Vergleich: EU-weit besuchen 78,9% aller Schülerinnen und Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf allgemeine Schulen. Die Bundesrepublik liegt weit zurück. Für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen und Benachteiligungen bedeutet die Sonderschulkarriere den Einstieg in lebenslange Sonderwege neben der Gesellschaft. Gleichzeitig wird allen Kindern die Vielfalt der Gesellschaft in der Schule vorenthalten. Sie können so nicht im Alltag lernen, respektvoll und konstruktiv mit Andersartigkeit umzugehen. Das ist der Ausgangspunkt von gesellschaftlicher Ausgrenzung und gibt für die demokratische Kultur in diesem Land Anlass zur Besorgnis. Vor diesem Hintergrund erscheint uns dringend erforderlich, dass das Thema inklusive Bildung Eingang in Ihre Überlegungen über die Zukunft unseres Bildungssystems findet. Wie soll der Prozess in Richtung inklusive Bildung gestaltet werden? Wie sollen die eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen umgesetzt und das Recht auf inklusive Bildung realisiert werden? Auch von diesen Fragen hängt die zukünftige Qualität von Bildung in Deutschland ab.
Mit freundlichem Gruß
BAG Gemeinsam leben – gemeinsam lernen
Sibylle Hausmanns
0 69 / 77 015 758
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