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Von: "The VOICE Refugee Forum Jena"
Datum: 21. November 2010 00:12:20 MEZ
Delegations-Report der Tour von The Voice durch Flüchtlingsheime inThüringen – Ausführlichere Fassung der Junge Welt-Autorin Gitta DüperthalLangeweile und Angst„Für dich gilt Paragraph 1. Du musst hier verschwinden“, müssen sichFlüchtlinge von Behördenmitarbeitern in Thüringen anhören. Ortsbesuch inGangloffsömmern, Breitenworbis, Gerstungen, Zella-Mehlis.Von Gitta Düperthal„Jeden Tag das Gleiche, Langeweile und Angst bestimmen unser Leben“, sagtder Iraner Chassem Hyati. „Aufstehen, Kaffee trinken, Zigarette rauchen,warten auf Abschiebung.“ Wie alle anderen im Lager Gangloffsömmern leideter darunter, keine Arbeitserlaubnis zu haben. Wer in das gottverlasseneKaff im Thüringer Wald kommt, wähnt sich am Ende der Welt: WederSupermarkt noch Kneipe; im zwei Kilometer entfernten Nachbarort Schilfaebenso keine Einkaufsmöglichkeit. Fündig wird man erst im mehr als 4Kilometer entfernten Straußfurth. Für die etwa 45 dort lebenden Männerbedeutet das mehr als acht Kilometer Fußmarsch. Der Bus hin und zurückkostet 2,80 Euro Fahrgeld. Das kann sich vom monatlichen Gutschein von 126Euro, plus 41 Euro Bargeld keiner leisten. Letzteres wird seltenvollständig ausgezahlt. Im zuständigen Landratsamt der Kreisstadt Sömmerdasieht man darin kein Problem: Wer seinen Pass nicht abgebe, erhalte nurzehn Euro statt 40. In unmittelbarer Nachbarschaft des Flüchtlingslagersgibt es ein „Kulturhaus“ für Vereine des Dorfes. Auf Nachfrage von JungeWelt, ob Flüchtlinge hierher kommen, erstauntes Kopfschütteln. Auf dieweitere Frage, ob Dorfbewohner schon zu Besuch im Heim gewesen seien,beeilen sich drei Frauen zu bestätigen: Beschwerden über „die Ausländer“gebe es nicht. „Bei denen da oben“ werde jährlich ein Fest mit Bratwüstengefeiert – gewesen seien sie dort nicht. Flüchtlinge erzählen, beimOktoberfest sei „Ausländern“ Zutritt zum Kulturhaus verwehrt worden.„Entgegen ständiger Kritik Außenstehender“ beharrt man im Landratsamt:„Der Integrierung der Flüchtlinge in das Alltags- und öffentliche Lebensteht nichts entgegen.“Die Flüchtlingsorganisation „The voice“ hat eine Kampagne gestartet undwirkt darauf hin, alle isoliert gelegenen und baufälligenGemeinschaftsunterkünfte in Thüringen zu schließen. Osaren Igbinoba,Sprecher der Organisation, hatte Junge Welt gebeten, die Zustände derLager in Gangloffsömmern, Breitenworbis, Gerstungen und Zella-Mehlis undÄngste der dort lebenden Flüchtlinge zu dokumentieren. Deshalb unternahmeine Delegation von Aktivisten vergangene Woche in journalistischerBegleitung eine Tour durch die Heime.In Gangloffsömmern trauen sich zunächst wenige Flüchtlinge offen zusprechen. Erst als auf Nachfrage von Junge Welt ein Raum des Kulturhauseszur Verfügung steht, kommen immer mehr Männer dorthin und ergreifen dasWort. Frauen gibt es im Lager nicht. Von Willkür, Geldkürzungen und rüdemUmgang im Amt ist die Rede. In diesem Zusammenhang wird ein Herr Milkaerwähnt, der sie demütige, wie mehrere Flüchtlinge übereinstimmend sagten.Äußerungen wie „Du bist kein Tourist, sondern hast Asyl. Wir haben Dich inunser Land nicht eingeladen“ oder auch „Für dich gilt Paragraph 1. Dumusst hier verschwinden“ müssten sie sich von ihm anhören. Als Jw daszuständige Landratsamt damit konfrontiert, heißt es: „Asylantragstellerwerden in unserem Amt stets respektvoll behandelt“.Um der bedrückenden Atmosphäre zumindest kurzzeitig zu entrinnen, brauchenFlüchtlinge Urlaubsscheine. Die werden jedoch mitunter verweigert oderkosteten 20 Euro, sagen die Flüchtlinge. Die „Verlassenserlaubnis“ werdenur bei öffentlichem Interesse, aus zwingenden Gründen oder wenn unbilligeHärte vorliege, erteilt, sei aber gebührenfrei, heißt es beim Amt. Alsöffentliches Interesse gilt dort allerdings „Dokumentenbeschaffung“ –nicht etwa dass Flüchtlinge ausgehen oder politische Versammlungenwahrnehmen können!Die Zustände in all diesen Einrichtungen sind unzumutbar. Besuch empfängtdort niemand gern, die meisten schämen sich für ihre Bleibe: Toiletten undDuschen in miserablem hygienischem Zustand: Keine Toilettenbrillen, keineSeifenschalen, keine Seife, keine Handtücher, keine Badezimmerschränke;nur sporadisch warmes Wasser, die Heizung häufig kalt. In der Kücherostige und alte Kochherde, alles komplett unwohnlich. Als wir gehen,geben uns die Flüchtlinge mit auf den Weg: „Selbst wenn das Heim renoviertwird, in dieser Einöde kann keiner leben.“ Lange sei es her, dass sie sichmal ganz normal mit Frauen hätten unterhalten können.In Breitenworbis kommt die Delegation im Dunkeln an. Beleuchtung gibt esnicht. Im ehemaligen Schlachthof sind 90 Flüchtlinge untergebracht. Hiersollen gar Ratten gesichtet worden sein. Im Hof befindet sich eineMüllhalde; gegenüber ein Schweinestall, aus dem im Sommer üble Gerücheströmten, berichten Flüchtlinge. Der Bus zum nächstgrößeren Ort, Worbis,fährt am Wochenende nur morgens um sieben und nachmittags um 16 Uhr.Deutschunterricht gibt es wöchentlich zwei Stunden. Einige Flüchtlingewirken verschreckt und verängstigt – trotz unübersehbarer Missständebehaupten sie, alles sei perfekt und neu gemacht. Werden sie unter Druckgesetzt? Darauf hat die zuständige Heiligenstädter SozialamtsleiterinMonika Fromm keine Antwort, sie beharrt, ohne auf Vorhaltungen einzugehen,alles sei in bester Ordnung. Das Landesverwaltungsamt habe Infrastrukturund gute soziale Betreuung gelobt.Davon ist allerdings nichts zu merken. Besonders problematisch ist diebeengte Wohnsituation für die Familie von Ilham Celilov mit drei Kindern.Eine Bombe hat das Bein des Mannes aus Aserbaidschan weggerissen, zurDusche über den kalten Flur muss er auf einem Bein hüpfen. Dass Kinderseinen mittlerweile vollständig schwarzen Beinstumpf in derGemeinschaftsdusche sehen, ist ihm peinlich. Nichts istbehindertengerecht. Zum einkaufen muss er – wie alle anderen –kilometerweit laufen. Am schlechten Zustand seines Beins sei eineschlechte Prothese schuld, berichten Flüchtlinge – die Kosten für eineneue habe das Sozialamt nicht übernommen, genauso wenig wie für dienotwendige Operation. Seine Kinder werden zwei Stunden täglich im Heimbetreut. Alles in Ordnung?Gemeinschaftsunterkunft Gerstungen: Obgleich diese seit längerem in deröffentlichen Kritik steht, finden Friedrich Krauser, Kreisbeigeordneterdes Wartburgkreises und die Sozialdezernentin Claudia Döring (beide CDU)für übelste Schikanen und Schrecken aufbauende Worte. Krauser konstatiertetwa, die iranische Familie Memar Barshee habe „freiwillig“ ihre Sachenfür die Abschiebung gepackt, als die Ausländerbehörde am 26.10.2010 um5.30 „an die Tür klopfte“. Im Morgengrauen seien sie aus dem Bett gerissenworden, schildern Flüchtlinge. „Seitdem schlafen alle hier nur noch miteinem Auge, mit dem anderen sind sie wach.“ Zum Fall des 34-jährigenalgerischen Flüchtlings Karim Meghraoui, der über eineinhalb Jahre keineneinzigen Cent erhielt und deshalb andere Flüchtlinge anpumpen musste,meint Döring: Dieser habe erst sein Vermögen aufbrauchen müssen –Mitbewohner bestätigen hingegen, er habe keins besessen.Erstaunlicherweise soll es just jetzt aufgebraucht sein, so Döring aufNachfrage von Junge Welt. Ab November erhalte er wieder Gutscheine.Polizeikontrolle um Flüchtlinge einzuschüchternUnhaltbare Zustände im Lager in Zella-Mehlis. Im Landratsamt in Meiningensteht jetzt „das gesamte Betreiberregime“ auf dem PrüfstandVorm Flüchtlingslager in Zella-Mehlis um die Mittagszeit fangen amDonnerstag vergangener Woche mehrere Polizisten eine Delegation derOrganisation „The voice“ ab, die Flüchtlinge besuchen will.Ausweiskontrolle! Einem Aktivisten aus einem Nachbarort will man Strafeaufbrummen, weil er die Residenzpflicht nicht eingehalten hat. Das wirdmehr als ein monatliches „Taschengeld“ von 41 Euro kosten. Nach dem Zückendes Presseausweises der Journalistin von Junge Welt ist diePolizeimaßnahme beendet. Die Kontrolle der Besucher wirkt einschüchterndauf die dort lebenden Flüchtlinge. Doch als sie die ermutigenden Worte desSprechers von The voice, Osaren Igbinoba, hören, ist alles fast wiedervergessen. Er fordert die Flüchtlinge auf, füreinander einzustehen. DieUnterkunft ist baufällig, die Heizung funktioniert nur sporadisch, warmesWasser gibt es kaum. Doch etwas unterscheidet sich hier von anderenLagern: Im Landratsbüro Meiningen, einer Hochburg der Linken, wird aufNachfrage von Junge Welt nicht versucht, zu rechtfertigen oderschönzureden. Ob der Peinlichkeit hat die Antwortmail niemand unterzeichenwollen. Nur soviel: Detaillierte Auskünfte wolle man nicht geben. Dasgesamte Betreiberregime stehe auf dem Prüfstand. Kurzfristig werde es einTreffen mit dem Landesverwaltungsamt und dem Mitglied des ThüringerLandtags Ina Leukefeld (Die Linke) geben.Zu all den Ungeheuerlichkeiten also zunächst kein Wort: Nicht zumSchicksal der 25-jährigen Nama Selo aus dem Irak, die hier ihreSchwangerschaft hat getrennt vom Kindesvater in Köln verbringen müssen –und der man obendrein den Barbetrag von jeweils 41 Euro in den vergangenenvier Monaten vorenthielt. Oder zur rüden Begründung einesBehördenmitarbeiters, sie werde ja sowieso abgeschoben. Nama Selo hat amSonntag in der Klinik in Suhl ein Mädchen zur Welt gebracht. Auch zuZeitun Teromerows Problemen, die seit sieben Jahren mit ihren vier Kindernim Lager leben musste, kein Kommentar. Drei der Kinder aus Aserbaidschan,im Alter von 13, 15 und 18 Jahren, hätten in einem Zimmer leben müssen.Zwei Monate lang habe es kein Licht gegeben; Wasser laufe durch die Decke.Keine Reaktion aus dem Amt zu den Sorgen des 40-jährigen Polat Ahmedov ausAserbaidschan: Obgleich er seine Aufenthaltsgestattung seit zwei Jahrenhat, erhält er keine Arbeitserlaubnis. Ein Angebot, in Hamburg auf einemSchiff zu arbeiten, habe er ablehnen müssen. Keine Stellungnahme zumSkandal, daß Flüchtlinge stundenweise auf Ein-Euro-Job-BasisReinigungsarbeiten im Heim übernehmen »dürfen«, jedoch keine reguläreArbeitserlaubnis erhalten. Keine Antwort auch auf den Vorwurf vonFlüchtlingen, insbesondere die Mitarbeiterin Mandy Hessler lasse Willkürwalten. »Sie kickt uns wie einen Fußball«, sagen sie. Einem Vater, dersein krankes Kind in die Klinik gebracht hat, soll sie das Taxi-Geld fürden Rückweg verweigert haben, obwohl nachts kein Bus mehr fuhr. Auch zumkürzlichen Versuch einer Abschiebung mitten in der Nacht, die alleFlüchtlinge in Angst und Schrecken versetzte, weil zuvor nicht mal derAnwalt verständigt wurde, wird zunächst geschwiegen. Osaren Igbinoba siehtin Deportationen ein Mittel, Flüchtlinge, die für ihre Rechte kämpfen, zudemoralisieren.Gitta DüperthalKonferenz zum Kampf der FlüchtlingeUnter dem Motto „Isolation brechen – Lager schließen“ werden Aktivistenvon „The Voice“ und „Die Karawane für die Rechte von Flüchtlingen undMigranten“ am Wochenende eine Konferenz in Berlin veranstalten. Diskutiertwird über den Kampf der Flüchtlinge in den Lagern Gerstungen,Breitenworbis, Gangloffsömmern, Zella-Mehlis in Thüringen. Als Ergebnisvon Besuchen von Aktivisten und Journalistinnen entstehen Interviews undFilme mit Bewohnern. Auch in Lagern in Sachsen-Anhalt (Möhlau) undBaden-Württemberg (Biberach) kämpfen Flüchtlinge gemeinsam gegen sozialeAusgrenzung. Um die Kämpfe weiterführen zu können, braucht dieOrganisation Unterstützung und Geld. Ziel ist, regelmäßigen Kontakt derFlüchtlinge untereinander – auch in verschiedenen Heimen – zugewährleisten. Neben der Intensivierung der Presse- und Online-Arbeitseien Ausstellungen in und über die Heime, sowie Kunstprojekte geplant, soder Sprecher, Osaren Igbinoba. Dazu sei eine hochwertige technischeAusstattung nötig, um effektiv arbeiten zu können. Weiterhin seienSachspenden wie eine gute Computer- oder Filmausstattung oder Surfsticksfür Flüchtlingsheime wichtig. Der Organisation sind Autos zur Verfügunggestellt worden. Für Besuche in abgelegenen Flüchtlingsheimen sind siewichtig. Hauptaktivisten benötigen eine Bahncard. (düp)DEUTSCH: Aufruf zur Spende für die Flüchtlingscommunitys in den Lagern:Brecht die Isolation! Alle Lager schließen!http://thevoiceforum.org/node/1850Spendenkonto: Förderverein The VOICE e.V., Sparkasse Göttingen,Kontonummer 127829, BLZ: 260 500 01The VOICE Refugee Forum JenaAdresse: Schillergässchen 5, 07745 JenaTel. Handy 0049(0) 17624568988,Fax: 03641 / 42 02 70,E-Mail: thevoiceforum@gmail.comInternet: http://www.thevoiceforum.orgGegründet: 1994, Arbeitsweise: Kampagnen,Aktionen, Vernetzung.Publikationen: E-NewsletterEND_______________________________________________coyote-l mailing listhttp://mail.kein.org/mailman/listinfo/coyote-l