1. Andere Schulformen sind nicht in der Lage, die betreffenden Kinder (also die, die jetzt auf die Hauptschule gehen) optimal zu fördern.
Bei diesem Argument habe ich immer den Eindruck, als gingen die Menschen, die es verwenden, davon aus, dass es in unserer Gesellschaft in jedem Fall Hauptschüler gibt, unabhängig von der Frage, ob die Hauptschule noch existiert oder nicht. Was für Schüler sind gemeint? Offensichtlich diejenigen, denen man so wenig intellektuelle Leistungsfähigkeit zutraut, dass für sie ein spezieller Unterricht auf besonders niedrigem, pardon, praxisorientiertem Niveau maßgeschneidert werden muss. Au, das war wieder polemisch, dabei wollte ich dieses Mal ganz sachlich bleiben. Mir fällt es einfach sehr schwer, der Logik dieses Arguments zu folgen.
Nehmen wir an, da ist ein Kind, das im Verlauf der Grundschule, also bis zum Alter von neun oder zehn Jahren, kein gesteigertes Interesse an abstrakten Gedankengängen, an mathematischen Rechenspielereien oder einfach an diszipliniertem Stillsitzen gezeigt hat und das damit notentechnisch eher im unteren Bereich gelandet ist. Welche Möglichkeiten gibt es, um diesen Schüler fortan optimal zu fördern?
Man könnte zum Beispiel – im Idealfall nicht erst am Ende von Klasse 4 – fragen, was dieses Kind eigentlich benötigt. Wie sieht es mit seinen Deutschkenntnissen aus, wo liegen seine Begabungen? Und dann sucht man nach einer Schule, die an eben diesen Begabungen anknüpft, die dem Kind den nötigen Spielraum und die Zeit lässt, um seine eigenen Ideen zu entwickeln, Projekte zu bearbeiten, Lust am Lernen zu gewinnen. Das muss vor allem eine gute Schule sein. Eine Hauptschule muss es allerdings nicht sein, denn das, was dieses Kind benötigt, ist ziemlich genau das, was alle Schüler benötigen, unabhängig davon, welche Noten sie am Ende von Klasse 4 erreicht haben.
2. Das Handwerk braucht gute Hauptschüler
Dieses Argument wird von einigen – längst nicht allen – Handwerksverbänden gelegentlich genannt. So zum Beispiel von Hans Medley, dem stellvertretenden Innungsmeister des Landesverbands Bayern, der am 12.6. auf in Handwerk kompakt wie folgt zitiert wird: Während in den alten Bundesländern 46 Prozent der neuen Lehrlinge für den Ausbildungsberuf „Kfz-Mechatroniker“ einen Hauptschulabschluss und 46 Prozent einen mittleren Abschuss haben, kommen in Bayern 58 Prozent der Auszubildenden aus den Haupt- und 35 Prozent aus den Realschulen.
Wieso genau ist das ein Argument für die Hauptschule? Medley sagt, dass es in Bayern viele Hauptschüler gibt, die für diesen Beruf geeignet sind, gut. Aber es wird ja auch ziemlich deutlich, dass es auch jede Menge Realschüler gibt, die sich für diese Ausbildung entscheiden. Im Osten beispielsweise gibt es im Handwerk viel mehr Auszubildende mit Real- als mit Hauptschulabschluss. Ich würde daraus folgern, dass sich wenigstens ein Teil der 58 Prozent Hauptschüler in Bayern auch mit einem Realschulabschluss für den gleichen Beruf entschieden hätte. Ein anderer Teil dieser Schüler hätte aber vielleicht auch einen Beruf gewählt, zu dem sie leider mit einem Hauptschulabschluss keinen Zugang bekommen haben…
Dass längst nicht jeder Handwerksverband für den Erhalt der Hauptschule ist, beweist zum Beispiel der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWTH), der schon 2007 zwei sehr lesenswerte Papiere zum Thema Hauptschule herausgegeben hat (dieses und dieses). Da liest man unter anderem: Zweite Fehleinschätzung: Die Hauptschule ist gut für „praktisch Begabte“ und bereitet gut auf eine Ausbildung im Handwerk vor: Praktisch begabt wird hier meist als Gegensatz zu theoretisch begabt verstanden. Schlimmer noch: Der Begriff „praktisch begabt“ wird oft eher als Synonym für den schlechten Schüler verwendet. Das Handwerk ist aber nicht in der Lage, seinen Nachwuchs aus dem Reservoir der schlechten Schüler zu gewinnen. Ein guter Handwerker braucht praktische und theoretische Begabung. Er muss lösungsorientiert denken und arbeiten, braucht das Wissen „warum“ (die Theorie) ebenso wie das Wissen „wie“ (die Praxis).
3. Wenn weniger begabte Schüler zusammen mit begabteren in einer Klasse unterrichtet werden, dann sinkt der Leistungsstand der begabteren.
Dieses Argument ist ein Klassiker gegen jede Art von integrierter Schulform. Es zeigt vor allem, wie fest die Art, in der wir selbst unterrichtet wurden, in unseren Köpfen verankert ist. Denn an einer Schule mit Frontalunterricht, an der sich die Schüler auf die Lehrkräfte und nicht die Lehrkräfte auf die Schüler einstellen müssen, ist der Unterricht von stark leistungsheterogenen Gruppen ganz sicher keine Patentlösung. Niemand plädiert dafür, dass sich die eine Hälfte der Schüler wegen Unter-, die andere Hälfte wegen Überforderung langweilt. Aber zum Einen ist es ohnehin ein Trugschluss zu glauben, dass die Schüler innerhalb einer Klasse an egal welcher Schulform eine homogene Gruppe bilden. Zum Anderen gibt es inzwischen genügend erprobte Methoden, um aus der Vielfalt einer Lerngruppe zu schöpfen und so zu unterrichten, dass alle die optimale Förderung erhalten.
4. Der für Hauptschüler wichtige berufspraktische Bezug kann ihnen nicht an einer integrierten Schulform gegeben werden.
Was oben schon zum Thema „Handwerk“ steht, gilt natürlich auch hier: Es gibt keine Berufe, in denen man sein Gehirn einfach ausknipsen kann. Denken ist immer gefragt, und deshalb sollte ein bisschen „Theorie“ auch immer mit dabei sein. Umgekehrt schadet es auch Gymnasialschülern nicht, ein bisschen berufspraktische Orientierung mitzubekommen, schließlich wird ja nicht aus jedem Gymnasialschüler ein Akademiker, und kein Akademiker, den ich kenne, kann auf praktische Fertigkeiten verzichten. Mit anderen Worten: Ein berufspraktischer Bezug sollte zu jeder schulischen Ausbildung gehören, Punkt.
5. Legt man die Schulformen zusammen, haben die Eltern keine Wahlfreiheit mehr.
Dieses Argument verwendet zum Beispiel die hessische FDP-Kultusministerin Dorothea Henzler (zum Beispiel hier). Dazu sei gesagt, dass sich laut einer Studie des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund nur sechs Prozent der befragten Eltern von Grundschülern für ihre Kinder einen Hauptschulabschluss wünschten. Das war schon 2006, aber ich gehe jede Wette ein, dass die Zahl noch immer aktuell ist. Ich finde im Übrigen auch, dass „Elternwahlrecht“ wünschenswert klingt, aber damit sollte gemeint sein, dass sich Eltern für eine optimale – und zwar tatsächlich optimale – und individuelle Förderung ihres Kindes entscheiden können sollten."